Harnsteine schnell analysieren

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Harnsteine gehören allgemein zu den häufigsten Erkrankungen. Eine konsequente Nachsorge kann der erneuten Steinbildung nach der Operation vorbeugen. Hierfür muss jedoch die Zusammensetzung des Steins bekannt sein. Forscher am Fraunhofer IPM entwickeln ein System, das die direkte Analyse nach dem Eingriff erlaubt. IPM-Gastwissenschaftler Arkadiusz Miernik hat für seine Habilitation zu Behandlungsverfahren von Harnsteinen nun den Maximilian Nitze-Preis, die höchste wissenschaftliche Auszeichnung für Urologie in Deutschland erhalten.

© Fraunhofer IPM
Das neue Diagnosesystem ermöglicht die OP-begleitende Analyse von Harnsteinen.

Immer mehr Deutsche leiden an Harnsteinen, die mitunter auch als Nierensteine bezeichnet werden. Die Zahl der Neuerkrankungen hat sich in den letzten Jahrzehnten verdreifacht. Harnsteine sind oft nicht größer als ein Reiskorn, einige wachsen jedoch auf einen Durchmesser von mehreren Zentimetern an. Bleiben sie im Harnleiter stecken, verursachen sie kolikartige Schmerzen. Lassen sie sich nicht auflösen, werden sie per Stoßwellen behandelt oder minimalinvasiv per Endoskop zertrümmert und entfernt.

Bei vielen Patienten tritt das Leiden nach einer Behandlung erneut auf. Laut wissenschaftlichen Studien kann eine konsequente Nachsorge die erneute Bildung von Steinen um 50 Prozent verringern. Empfehlungen zur Änderung der Ernährung oder zur medikamentösen Prävention basieren auf der Zusammensetzung des Steins. Forscher vom Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM entwickeln im Auftrag eines Industriepartners ein Mess- und Diagnosesystem, das die schnelle, automatisierte Analyse und somit eine maßgeschneiderte Nachsorge nach der Zertrümmerung ermöglicht. Dabei arbeiten sie eng mit Dr. Arkadiusz Miernik von der Sektion Urotechnologie an der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Freiburg zusammen.

»Nur sehr wenige Patienten mit Harnsteinerkrankung erhalten eine umfassende Anschlussdiagnostik und Beratung nach der Behandlung«, weiß Dr. Arkadiusz Miernik, Arzt und Wissenschaftler am IPM. Der Grund: Die derzeit angewendeten konventionellen Technologien wie beispielsweise die Infrarotspektroskopie sind kostenintensiv und aufwändig. Sie erfordern die Vorbereitung der Steinproben und werden von Speziallaboren durchgeführt. Da jedoch nur wenige Zentren die Analyse anbieten, beträgt die Wartezeit zum vorliegenden Ergebnis bis zu drei Wochen. »In der Zwischenzeit ist der Patient entlassen, in der Regel zunächst beschwerdefrei und kommt nicht wieder zum Arzt. Zwar wird ihm empfohlen, regelmäßig ausreichend zu trinken, sich körperlich zu bewegen und eventuell vorhandenes Übergewicht abzubauen. Ein ausführliches Abschlussgespräch bezüglich weiterer vorbeugender Maßnahmen einschließlich Analyse des individuellen Risikoprofils findet in der Regel nicht statt«, sagt Miernik. Bestimmte Harnsteine entstehen jedoch aufgrund von Stoffwechselstörungen. Durch eine Steinanalyse lassen sich einige davon aufdecken – der Patient könnte somit auch medikamentös behandelt werden.

Vorbereitung der Steinproben entfällt

Miernik und sein Team setzen bei der Analyse auf die Ramanspektroskopie. Sie ermöglicht eine schnelle Charakterisierung und unterscheidet die verschiedenen Steintypen eindeutig. Die Methode liefert für jedes Probenmolekül ein charakteristisches Spektrum im sichtbaren Wellenlängenbereich – einen »chemischen Fingerabdruck« des untersuchten Materials. »Die Proben werden mit Laserlicht behandelt. Dabei strahlt etwa ein Prozent der Photonen mit einem probenspezifischen Wellenspektrum zurück. Die ermittelten Spektren listen wir in einer Datenbank auf«, erklärt Miernik. Die bei der Ramanspektroskopie entstehende störende Hintergrundfluoreszenz konnten die Forscher softwareseitig extrahieren.

Die Methode kommt mit vergleichsweise günstigen optischen Komponenten aus und funktioniert auch bei nassen Proben. Die bisher erforderliche aufwändige Präparation entfällt. »Normalerweise müssen die Steine vor der Untersuchung getrocknet und pulverisiert werden. Das ist mit unserem Mess- und Diagnosesystem nicht nötig. Die direkt bei dem Eingriff entnommenen Proben müssen nicht weiter zerkleinert werden, man kann sie theoretisch sofort in das Ramanspektrometer legen und analysieren«, erläutert Miernik. Zwar gibt es einige wenige Speziallabore, die das Verfahren mit großen Analysegeräten bereits durchführen könnten. Doch ein kliniktaugliches kompaktes Gerät, das eine sofortige, automatisierte Diagnostik erlaubt, existiert bis dato nicht.

Das Messsystem der IPM-Forscher liegt bereits als Prototyp vor. Die Wissenschaftler haben sowohl die Hard- als auch die Software entwickelt. Es muss allerdings noch kompakter gebaut und miniaturisiert werden, bevor es zur Marktreife gelangt. Die Besonderheit des Systems ist die spektrale Datenbank, mit der die Experten zunächst die Hintergrundfluoreszenz herausrechnen und dann automatisiert die Spektren identifizieren. Die Datenbank basiert auf den Daten von neun Reinstoffen, aus denen Harnsteine zu 99 Prozent bestehen. Um die Software etablieren zu können, untersuchten die Forscher in der ersten Validierungsphase knapp 160 Harnsteinproben. Ein Referenzlabor bestätigte die Messergebnisse per Infrarotspektroskopie. »Sobald das komplette System kliniktauglich ist, können Ärzte die Steinproben ihrer Patienten mit der Datenbank abgleichen und diagnostizieren«, so Miernik.